Praxisbeispiel – Revisor mit grundlegendem Wertekonflikt

Der Klient kam zu mir mit dem Wunsch nach Unterstützung bei einem beruflichen Veränderungsprozess. Er war in seinem vorherigen Unternehmen gekündigt worden und war jetzt – immer noch tief enttäuscht und verletzt durch die erfolgte Kündigung – auf der Suche nach einer neuen Anstellung.
Er war spürbar verunsichert über seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt, da er sich auf einer kaufmännischen Ausbildung aufbauend, bei seinen bisherigen Arbeitgebern innerbetrieblich fort- und weitergebildet hatte und zuletzt Leiter der Innenrevision war.

Mit Blick auf Stellenanzeigen zu gleichwertigen Tätigkeiten fand er seiner Aussage nach ausschließlich solche Stellenangebote, welche einen Hochschulabschluss als Qualifikation verlangten. Insgesamt zeigte der Klient eine nach zahlreichen Absagen ausgeprägte Defizitorientierung und fand nur schwer die Energie, sich aktiv auf verfügbare Stellenangebote zu bewerben.
Darüber hinaus schwang in den Aussagen des Klienten zu seinen bisherigen Arbeitsverhältnissen in der Bauindustrie eine deutliche Missbilligung, ja fast Verachtung für die dort nach seiner Aussage herrschenden Verhältnisse, dem Miteinander und den Gepflogenheiten der Bauindustrie (Complianceverstöße ohne Ahndung). Deren Überwachung und Verlangen nach Korrektur hatte ihn mehrfach mit der Geschäftsleitung in Konflikt gebracht.

Nach einem ausführlichen Erstgespräch vereinbarte ich mit dem Klienten die weitere Vorgehensweise. Ich machte ihn bereits zu diesem Zeitpunkt transparent darauf aufmerksam, dass mir die Heftigkeit seiner Kritik an seinen bisherigen Arbeitgebern aufgefallen war, und dass es im Verlauf des Coaching-Prozesses sinnvoll sein könne, sich auch den Hintergrund dieser von mir wahrgenommenen Emotionalität anzusehen. Der Klient reagierte stark und positiv auf dieses Angebot und äußerte, dass ihn diese negativen Gefühle in Bezug auf seine Arbeit schon längere Zeit belasten.
In den ersten Sitzungen begann ich mit dem Klienten zunächst die Erarbeitung einer Positionierung am Arbeitsmarkt, indem ich mit ihm u.a. einen systematischen Abgleich seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten mit den Anforderungen aktueller Stellenangebote durchführte und ein ideales Profil für eine zukünftige Position definierte. Im Verlauf dieses Prozesses legte der Klient einerseits Stück für Stück seine Defizitorientierung in Bezug auf seine persönlichen Ressourcen und Kompetenzen ab. Er gewann einen zunehmend realistisch-positiven Blick auf das reichhaltige „Paket“ aus Fähigkeiten und Erfahrungen, dass er sich im Laufe seines Berufslebens erarbeitet hatte. Andererseits äußerte er aber Zweifel daran, „ob das alles richtig sei“ – er wollte sich nicht mehr verbiegen lassen.
Wie schon zu Beginn vereinbart, bot ich dem Klienten daher nun an, den erneut spürbaren inneren Konflikt zu bearbeiten. Wir nahmen das von ihm gesetzte Bild des „sich Verbiegens“ auf und benutzten u.a. die Methode des „Lifelinings“, um einerseits die vergangenen Situationen im Berufsleben aufzusuchen, an denen die „Biegespannung“ besonders unangenehm war. Zugleich ließ ich den Klienten diejenigen Situationen in seiner bisherigen Arbeits- und Lebenswelt beschreiben, in denen er sich besonders gut und im Einklang mit sich empfunden hat.

Methodisch angemessen unterstützt wurde für den Klienten klar, dass er auf der Basis eines ausgeprägt humanistischen Menschenbildes über eine starke Werteorientierung hinsichtlich der Wertepaare „Integrität / Gerechtigkeit“, und „Fürsorge / Unterstützung“ verfügt. Diese hatten ihn in der Vergangenheit immer wieder vor kaum lösbare innere Konflikte gestellt, wenn er in seiner bisherigen Arbeitsumgebung mit nicht regelkonformen Geschäftspraktiken konfrontiert sah, sich Mitglieder der Geschäftsführung ihrer Verantwortung dafür entzogen und ihnen unterstellte Mitarbeiter in der Folge zu Schuldigen erklärten.

Der Klient empfand die Klärung der Ursache für seine inneren Konflikte als sehr entlastend, hatte er in der Vergangenheit zwar immer ein starkes Gefühl bezüglich seiner „inneren Verbiegung“, er konnte die Ursachen jedoch nicht benennen bzw. interpretierte diese Gefühle in seiner damaligen, defizitorientierten Grundhaltung einfach als den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Der Klient überarbeitete in der Folge das Positionsprofil noch einmal, in dem er einerseits auch kaufmännische Leitungsfunktionen außerhalb der Revision mit aufnahm, andererseits bestimmte Branchen wie die Bauindustrie für sich ausschloss.

Mit diesem für sich deutlich kongruenteren Bild einer zukünftigen Position bewarb sich der Klient auf eine Reihe von zu seinem Positionsprofil passenden Stellenangeboten. Durch die positive Resonanz auf seine Bewerbungen weiter gestärkt, achtete er bei den Vorstellungsgesprächen kritisch auf die Stimmigkeit der angebotenen Tätigkeiten mit seinen Werten und Vorstellungen. Schließlich nahm er die Position eines Innenrevisors bei einem gemeinnützigen Unternehmen an und arbeitet bis heute dort.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen